14.08.2025

Taiwan Today

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Deutschstudium in Taiwan

01.11.1992
Hinsichtlich der studentischen Motivation für ein Deutschstudium auf Taiwan kann man davon ausgehen, daß nicht mehr als fünf Prozent der Studienanfänger wirkliches Interesse für ihr Fach mitbringen. Nur für wenige Studenten ist die Germanistik ein Wunschstudium.
Sie kennen die Werke Heinrich Bölls und den "Struwwelpeter", sie lesen Artikel aus der Süddeutschen Zeitung und der BILD-Zeitung, sie diskutieren Ausländerfeindlichkeit und deutsche Weihnachtsbräuche, sie singen "Sah ein Knab' ein Röslein stehen" und hören Lieder von Udo Lindenberg, sie sehen die "heute"-Sendung und das deutsche Werbefernsehen, sie führen Stücke wie "Der Besuch der alten Dame" und auch "Der Wolf und die sieben Geißlein" auf, sie lachen über die Sketche von Loriot und heißen Uschi und Franziska oder Otto und Andreas. Die meisten von ihnen haben jedoch noch nie einen Fuß auf deutschen Boden gesetzt.


Daß sie unbedingt einen deutschen Vornamen haben müssen, ist in Taiwan jedes Jahr für jeweils rund 240 frischgebackene chinesische Studenten mit Deutsch als Hauptfach keine Frage. Ihre Entscheidung für einen bestimmten Namen mag im Einzelfall durch eine lautliche Ähnlichkeit mit ihrem chinesischen Rufnamen bedingt sein oder eine verhältnismäßig leichte bzw. - für ambitionierte Studienanfänger - auch eine besonders fremdartige und somit in ihren Ohren umso eindrucksvollere Aussprache als Grund haben. Da bisweilen recht ungebräuchliche Vornamen Gefallen finden ("Eis", "Ägäis"), sich Familien- ("Klinslein", "Lachmann") und selbst Markennamen ("Siemens") einschleichen, chinesische Namen etwas holprig ins Deutsche ("Geheneins") oder Englische ("Doniceman") übersetzt bzw. gleich Phantasienamen kreiert werden ("Josini" z. B. setzte ihren Namen aus den Anfangsbuchstaben der Vornamen dreier Rockmusiker zusammen), bringen die Dozenten üblicherweise Namenslisten mit, um die schlimmsten Auswüchse zu vermeiden. Schließlich findet aber jeder Student einen passenden Namen, dokumentiert damit seinen Ausbildungsgang und erleichtert nicht zuletzt denjenigen ausländischen Deutschdozenten ihre Aufgabe, die des Chinesischen nicht mächtig sind.


DEUTSCHSTUDIUM NUR SELTEN HERZENSWUNSCH

Diesem "Germanisierungsprozeß" unterziehen sich auch etliche Studenten, die z. B. Jura, Musik, Philosophie oder politische Wissenschaften studieren und Deutsch als Nebenfach belegt haben, da sie sich davon für ihren Hauptstudiengang und späteren Beruf Vorteile versprechen. So leicht nachvollziehbar diese Gründe sind, so verblüffend sind für Ausländer dagegen die Erklärungen dafür, warum die etwa 200 männlichen und 800 weiblichen Studenten, die in Taiwan derzeit einen Abschluß in Deutsch als Hauptfach anstreben, gerade diesem Fachbereich angehören. "Man kann davon ausgehen, daß sicher nicht mehr als fünf Prozent der Studienanfänger an den Deutschabteilungen Taiwans wirkliches Interesse für das Deutschstudium mitbringen!" Diese Gewißheit äußert Dr. Lin Tsong-minn (林聰敏), der Leiter der Deutschabteilung der Soochow-Universität im Nordosten Taipeis. Auch an der Fu Jen-, der Tamkang- und der Chinesischen Kultur-Universität, den anderen dreiprivaten Universitäten, die in Taiwan Deutsch als Hauptstudiengang anbieten, bezeichnet kaum einer der Studienanfänger dieses als sein Wunschstudium.*

"Wer tanzt am besten Ländler?" "Wer leert als erster eine Dose Bier?" Das Engagement der Studenten für die Veranstaltung von "Deutschen Abenden", "Deutschen Wochen" und anderen kulturellen Aktivitäten außerhalb des Lehrplans ist außerordentlich groß ...

Zwar können natürlich auch Motive eine Rolle spielen, die an deutschen Hochschulen ebenso zu erwarten wären (Interesse für die Sprache, Kultur und Literatur, vermeintlich günstige berufliche Aussichten), doch wird am häufigsten angeführt, daß man trotz anderer Pläne eben an die Deutschabteilung verwiesen worden sei. Eine Erklärung für diese Situation liefert das vom Erziehungsministerium verfügte Zulassungsverfahren. Alle an einem Studium interessierten Schulabgänger der "Oberschule" nehmen an einer schwierigen Prüfung teil, die von weniger als der Hälfte der Bewerber bestanden wird, allerdings jedes Jahr wiederholt werden kann. Die erfolgreichen Kandidaten für einen Hochschulplatz können nun beliebig viele Präferenzen für Universität und Studienrichtung angeben, wobei sie sich für einen von vier Bereichen (Agrarwirtschaft, Medizin, Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften) entscheiden müssen und ihr Prüfungsergebnis gemäß ihren Leistungen in den entsprechenden Fächern gewichtet wird. Für die jeweilige Kombination Studienrichtung/Hochschule wird vom Erziehungsministerium nun eine zu erreichende Mindestpunktzahl festgelegt, die etwa das Platzangebot und den akademischen Ruf der verschiedenen Lehranstalten berücksichtigt. Folge dieses Systems ist, daß sehr viele Interessenten des geisteswissenschaftlichen Bereiches, deren Punktzahl z. B. nicht für ein geplantes Jura-, Betriebswirtschafts- oder Englischstudium an ihrer Lieblingsuniversität ausreicht, notgedrungen auf eine weniger begehrte Kombination ausweichen müssen und sich deshalb, um überhaupt ein Studium aufnehmen zu können, z. B. in einer Deutschabteilung wiederfinden.


Eine Ausnahme stellen dabei ehemalige Schüler einer privaten Einrichtung in Kaohsiung dar, des Wen Tzao Ursulinen Junior College für moderne Sprachen. Schüler durchlaufen dort eine um zwei Jahre längere Ausbildung als an einer "Oberschule" und können die ganzen fünf Jahre über bereits Deutschunterricht nehmen. Natürlich möchten Schulabgänger von diesem College gern auf den erworbenen Sprachkenntnissen aufbauen und streben somit vermehrt ein Deutschstudium an. Da sie im Gegensatz zu den Absolventen aller anderen Schulen ja bereits über Deutschkenntnisse verfügen, können sie sich einer speziellen Prüfung an der Universität unterziehen und je nach Leistung in der Regel gleich im zweiten oder dritten Studienjahr einsteigen.


TEURE DEUTSCH-CREDITS

Der Weg an eine staatliche Hochschule bleibt ihnen wie allen ihren Deutschkommilitonen dabei aber verwehrt, da keine einzige Deutsch als Hauptstudiengang im Programm hat. Nicht einmal die Nationale Taiwan-Universität in Taipei, die die angesehenste aller Hochschulen in Taiwan ist und eine der zwei DAAD-Lektorinnen im Lande beschäftigt, macht da eine Ausnahme. Da die Bundesrepublik offizielle Beziehungen zur Volksrepublik China statt mit der Republik China unterhält und deshalb in Taiwan auch keine Botschaft hat, werden oft politisehe bzw. diplomatische Gründe als Ursache dieses Mankos vermutet. Laut Stella Chiu vom Erziehimgsministerium, die selbst vor einigen Jahren an der Soochow-Universität ein Deutschstudium abgeschlossen hat, ist aber nur ein zu knappes Angebot an Deutschdozenten verantwortlich, wodurch ein kontinuierlicher Vorlesungsbetrieb nicht gewährleistet sei.

... und mit gleicher Begeisterung werden manchmal auch Theaterstücke inszeniert, wobei außer solchen Berühmtheiten wie "Der Besuch der alten Dame" und "Der Kleine Prinz" noch etliche andere Aufführungen auf die Bühne gebracht wurden.


Vielleicht erscheint den staatlichen Universitäten solch ein Sprachstudium aber auch nur nicht prestigeträchtig genug: die Deutschabteilungen der erwähnten vier privaten, an den Randbezirken Taipei gelegenen Hochschulen, auf welche die für die Fachrichtung Deutsch vorgesehenen Studienanfänger alljährlich verteilt werden müssen, können nämlich schon auf knapp 30 Jahre erfolgreicher Arbeit zurückblicken.


Den zukünftigen "Germanisten" bleibt jedenfalls nichts anderes übrig, als sich erst einmal (ein Wechsel nach dem ersten Studienjahr ist nicht ausgeschlossen) mit einem unter Umständen ungeliebten Fach anzufreunden und dafür auch noch recht tief in die Taschen zu greifen - die Studiengebühren liegen derzeit pro Semester bei annähernd 30 000 NT$ (knapp 2000 DM). Da nur sehr wenige Studenten ein Stipendium erhalten, sind zur Finanzierung des Studiums in der Regel die Eltern gefragt. Schätzungsweise ein Drittel der Studenten arbeitet auch nebenher zu Stundenlöhnen von umgerechnet oft weniger als 5 DM (besonders beliebt sind Jobs in den Fast-food-Restaurants), was ihren Studienleistungen sicher nicht zuträglich ist.


Sind sie einmal an der Universität, bekommen die Studenten auf ihrem Weg durch die vorgeschriebenen acht Semester für jeden Kurs, den sie mit mindestens 60 von 100 möglichen Bewertungspunkten absolvieren, den deutschen "Scheinen" entsprechende Credits (ein Beipiel der Anforderungen gibt nebenstehender Studienplan der Fu Jen-Univerität). Wie alle Studenten müssen dabei auch diejenigen der Deutschabteilung zusätzlich einige fachfremde Veranstaltungen besuchen wie z. B. "Chinesisch", "Englisch", "Gedanken Dr. Sun Yat-sen' " oder, nach Geschlechtern getrennt, "Militärische Training" bzw. "Krankenpflege", für die sie insgesamt 28 Credits gutgeschrieben bekommen.

Das größte Problem für die Studenten sei, so die Leiterin der Deutschabteilung an der Chinesischen Kultur-Universität, Dr. Tu-Gu Chia-tai, gesprochenes Deutsch zu verstehen. Außer in der Universität gebe es kaum Möglichkeiten, Deutsch zu hören.

Daß unabhängig vom eigentlichen Studienziel noch andere allgemeine Veranstaltungen besucht werden müssen, ist nicht der einzige Grund, weshalb das Studium trotz einer Mischung aus aus- und inländischen Lehrkräften recht verschult wirkt und gerne mit der Oberstufe eines Gymnasiums verglichen wird. So sind von den 104 nötigen Deutsch-Credits, die es z. B. im Laufe des Studiums an der Soochow-Universität einzusammeln gilt, 64 vom Erziehungsministerium vorgeschrieben, weitere 24 werden von der Deutschabteilung bestimmt; nur die restlichen 16 können von den Studenten selbst zusammengestellt werden aus - von Universität zu Universität so verschiedenen Seminaren wie "Landeskunde Deutschland", "Pädagogik", "Sagen und Märchen", "Zeitungslektüre", "Wirtschaftsdeutsch" oder einem "Bibelkurs". Viele Studenten kritisieren die Vorgaben als zu umfassend und finden dabei Unterstützung bei den Lehrern, die ebenfalls mehr Wahlfreiheit befürworten.


Sind dann alle Scheine unter Dach und Fach, ist aber auch der Bachelor of Arts (B. A.) ohne irgendein weiteres Schlußexamen gesichert, und den obligatorischen Graduierungsphotos steht somit nichts mehr im Wege. Grund zum Feiern haben nach vier Studienjahren jeweils rund 90 Prozent der ehemaligen Studienanfänger im Fach Deutsch, obwohl mehr als ein Drittel aller Studenten während dieser Zeit gesteht, daß das Studium für sie gerade keine wichtige Rolle spiele. Trotzdem fügen sich viele einfach den Gegebenheiten und bemühen sich, dem Privileg gerecht zu werden, überhaupt studieren zu dürfen; bei manchen kommt der Appetit auch beim Essen, und sie finden tatsächlich im Laufe der Zeit Gefallen am Deutschstudium.


DEUTSCHSTUDENTEN ENGAGIEREN SICH FÜR IHRE ABTEILUNG

Dabei helfen sicher einige Aktivitäten, die von den "Studentenvereinen" durchgeführt werden. An der Fu Jen-Universität z. B. wird jeder Student bei seinem Eintritt in die Deutschabteilung automatisch Mitglied und muß pro Semester einen Beitrag von umgerechnet ungefähr 20 DM bezahlen. Der sehr straff organisierte Vorstand finanziert mit diesen Geldern sowie Zuschüssen der Universität unter anderem die Studentenzeitschrift "Die Stimme", Filmvorführungen, Ausflüge und "Deutsche Abende" mit Liedern und Tanz (Schuhplattler!). Beliebt ist auch die "Deutsche Woche" mit Buchausstellungen, in die sich allerdings nicht selten englische Lektüre verirrt, und deutschem Essen. Für Chinesen exotische Gerichte wie "Schweinshaxe" oder "Kartoffelsalat" bergen dabei bisweilen auch für die deutschen Gaumen Überraschungen, wenn z. B. die "Krautwickerl" mit Rotkohl gemacht sind und statt einer Hackfleisch- eine Reisfüllung aufweisen.

Ein Ansteigen der Bewerberzahlen für das Deutschstudium führt der Deutschabteilungsleiter Dr. Kuo Chiu-ching, Tamkang-Universität, auf einen sogenannten "Wiedervereinigungseffekt" zurück.

Solcherlei Leckereien gehören auch zum Programm des "Rheinpokals", zu dem sich die Deutschabteilungen der vier Universitäten alljährlich treffen und in Koch-, Theater- und sportlichen Wettbewerben (sogar "Völkerball" wird mit Begeisterung gespielt) einen Sieger ermitteln. Hin und wieder werden an den Universitäten auch längere Theaterstücke inszeniert: Die Chinesische Kultur-Universität zeigte z. B. 1991 das Drama "Der Besuch der alten Dame", und die Fu Jen-Universität brachte diesen Mai Saint Exupérys "Der Kleine Prinz" auf die Bühne. Das Engagement der Studenten für solche Veranstaltungen ist erstaunlich und würde auch ihren Kommilitonen in Europa zur Ehre gereichen.

Zugute kommt den Studenten dabei eine viel menschlichere, herzlichere Atmosphäre als an deutschen Universitäten und ein wesentlich engerer Kontakt zu den Dozenten. Diesen wird z. B. für die Vorlesungen schon mal ein Becher dampfenden Tees aufs Pult gestellt, sie werden zu Veranstaltungen wie Weihnachtsfeiern oder "Kennenlern-Wochenenden" des 1. Jahrgangs eingeladen und zu Konfuzius' Geburtstag am 28. September, dem "Lehrertag", mit Dankeskarten bedacht. Die Studenten können sich andererseits darauf verlassen, daß ihre "alten Meister" (so die wörtliche Übersetzung des chinesischen Ausdrucks für "Lehrer") studentischen Belangen wohlwollend gegenüberstehen und selbst bei privaten Problemen ein offenes Ohr haben.


... WENN ES NICHT GERADE IM UNTERRICHT SEIN MUSS

Andererseits haben die Studenten an den Universitäten Taiwans auch mit Schwierigkeiten zu kämpfen, die in Europa gewiß nicht so stillschweigend hingenommen würden. Klamme Kälte im Winter (Heizungen gibt es in Hörsälen oder Seminarräumen grundsätzlich nicht) und unerträgliche Schwüle im Sommer (über Klimaanlagen verfügen nur die wenigsten Unterrichtsräume) beeinträchtigen konzentriertes Arbeiten doch erheblich.

Gäbe es hier eine "Hitzefrei"-Regelung, wie sie an deutschen Schulen bei im Gebäude erreichten Temperaturen von mindestens 27 Grad Celsius üblich ist, wäre der Vorlesungsbetrieb wochen- oder monatelang zum Erliegen gebracht. Um wenigstens ein bißchen Durchzug zu ermöglichen, kann man nur die Fenster und Türen offen stehen lassen, wodurch man natürlich einen gewissen Lärmpegel und Ablenkung von außen in Kauf nehmen muß.

Daß hierbei trotz Kursstärken von bis zu über 60 Teilnehmern (bei Konversationsübungen die Hälfte oder ein Drittel) ein Unterricht überhaupt möglich ist, ist hauptsächlich der erstaunlichen Disziplin der Studenten zu verdanken. Andererseits ist ihre große Angst, sich zu blamieren und so "das Gesicht zu verlieren", den Dozenten oft ein Dorn im Auge, da sie einen kommunikativen Unterricht sehr erschwert.

"Hervorragende studentische Fähigkeiten liegen brach in der chinesischen Jugend: Die durch die Tradition bedingten Unterrichtsweisen haben weitgehend an der Entfaltung dieser Fähigkeiten vorbeigearbeitet oder sie geradezu verschüttet."** Diese Feststellung traf Pater Sprenger, der damalige Leiter des Magisterkurses an der Fu Jen-Universität, schon 1974, doch auch fast 20 Jahre später sind Schüler in Taiwan immer noch einem stark lehrerzentrierten Unterricht ausgesetzt. Eine Studentin im sechsten Semester Deutsch kann das nur bestätigen: "Unsere Lehrer haben uns immer nur gesagt: 'Eure Aufgabe ist es zu lernen, nicht aber zu reden oder Fragen zu stellen.' Nach meiner Meinung bin ich überhaupt zum ersten Mal an der Universität gefragt worden." Der den chinesischen Studenten an der Universität häufig vorgeworfene Mangel an geistiger Flexibilität und die im Vergleich zu deutschen Studenten manchmal bescheinigte Unreife ist die Folge dieses Systems, dessen Auswirkungen in allen Seminaren spürbar sind.

Auch der Unterricht des Englischen, der ersten Fremdsprache aller Menschen auf Taiwan, erfolgt an den Schulen praktisch durchgehend auf Chinesisch unter Ausschluß jeglicher Schülerbeteiligung. Wenn an der Universität dann Deutsch gelernt werden soll, reiben sich die Studenten gerne an winzigen grammatikalischen Besonderheiten oder stürzen sich, bevor sie erst einmal selbst überlegen, bei jeder Unklarheit sofort hilfesuchend auf ihr Lexikon. Als Extrembeispiel dieses Verhaltens kann wohl der Student gelten, der sich tatsächlich bei seinem Lehrer erkundigte, welches denn das beste Lexikon sei, um das deutsche Vokabular systematisch von A bis Z zu erlernen!

Daß sie den Unterricht aktiv mitgestalten können und sollen, ist für Studenten an der Universität eine ganz neue Erfahrung, die sie vor große Probleme stellt. Die Mehrheit der Studenten selbst im dritten und vierten Jahr Deutsch gibt an, daß sie immer noch Angst habe, im Unterricht ihre Meinung zu äußern. Das gilt unabhängig davon, ob die Lehrkraft Chinese oder deutscher Muttersprachler ist; diejenige Studentin, die ihre besondere Scheu vor deutschen Lehrern mit der originellen Erklärung begründete, daß sie sich "vor der Augenfarbe des deutschen Lehrers fürchte", stellt eine Ausnahme dar.

Die meisten Studenten haben aber ungemeine Schwierigkeiten, ihre anerzogene Zurückhaltung abzulegen, auf Fragen zu antworten, vielleicht selbst welche zu stellen oder sich kritisch mit dem Lehrstoff, geschweige denn mit dem Lehrer auseinanderzusetzen. Viele Studenten interpretieren ihre Punktergebnisse nämlich nicht als Beurteilung ihrer Leistungen, sondern als "Eindrucksnote". Selbst mündliche Kommentare ihrer Dozenten werden manchmal als Zeichen der einzelnen Studenten gegenüber einer gehegten Sympathie bzw. Antipathie verstanden; entsprechend groß ist die Befürchtung, daß sie es sich durch etwaige Äußerungen im Unterricht mit ihren Lehrern verscherzen könnten. Besonders Gastdozenten aus dem deutschsprachigen Raum und junge chinesische Lehrer, die in Europa studiert haben, bemühen sich deshalb verstärkt, die Hemmungen der Studenten abzubauen und sie zur konstruktiven Unterrichtsbeteiligung zu ermuntern. Dadurch sind nach übereinstimmenden Aussagen der Dozenten in den letzten Jahren bereits Verbesserungen erreicht worden, obwohl die Situation sicherlich noch keineswegs als ideal zu bezeichnen ist.

Neben ihrer "Reaktionsarmut", wie Frau Dr. Tu-Gu Chia-tai (古嘉台) von der Chinesischen Kultur-Universität das Verhalten der Studenten treffend charakterisiert, ist für diese das größte Problem verständlicherweise wohl die mangelnde Fähigkeit, gesprochenes Deutsch zu verstehen, da sie außer an ihrer Universität kaum Möglichkeiten haben, Deutsch zu hören. Viele Studenten scheinen sich damit abgefunden zu haben, daß als Fremdsprache in Taiwan nur Englisch verbreitet ist (der internationale Radiosender ICRT ist z. B. fest in amerikanischer Hand, und die ausländischen Kinofilme, die alle nicht synchronisiert, sondern nur mit chinesischen Untertiteln versehen werden, stammen fast ausnahmslos aus Hollywood). So nutzen auch viel zu wenige Studenten etwa das Film-, Kassetten-, Bücher- oder Zeitschriftenangebot des Deutschen Kulturzentrums, wie dessen ehemaliger Leiter Dr. Gründler bedauernd konstatierte. Engagierte Studenten treffen sich allerdings zum "Sprachaustausch" mit deutschen Muttersprachlern, die an einem der hiesigen Sprachinstitute Chinesisch lernen und über zusätzliche Konversationsmöglichkeiten froh sind.


REISEN INS "TUGENDLAND" KAUM ERSCHWINGLICH

Ander als z. B. für Europäer, die Englisch, Französisch oder Italienisch lernen und für wenig Geld in Land ihrer Zielsprache reisen können, kommt für die chinesischen Studenten ein Aufenthalt im deutschsprachigen Ausland, der sie sicherlich motivieren und ihren sprachlichen Fähigkeiten einen kräftigen Schub geben könnte, leider nicht so leicht in Frage. Am günstigsten in den deutschen Sprachraum kommen Studenten noch, wenn sie sich für eines der neun Stipendien qualifizieren können, die der "Deutsche Akademische Austauschdienst" seit 1991 vergibt. Sie decken neben einem dreiwöchigen Sprachkurs in Deutschland auch die Kosten für Unterkunft und Verpflegung, allerdings nicht den Flug. Da als einzige Hochschule die Tamkang-Universität für ihre Studenten alle zwei Jahre Deutschlandfahrten veranstaltet, organisiert seit ein paar Jahren auch ein ehemaliger DAAD-Lektor der Fu Jen-Universität jeden Sommer auf privater Basis ein mehrwöchiges komplettes Reiseprogramm, in dessen Preis von umgerechnet rund 7000 DM alle anfallenden Kosten inbegriffen sind, das aber natürlich die finanziellen Möglichkeiten der meisten Studenten übersteigt.


Dabei würde man es ihnen wünschen, daß sie einmal nach Deutschland reisen könnten, da es für viele eine Art "Paradies" darstellt, von dem sie trotz mehrjährigen Deutschstudiums immer noch sehr klischeehafte Vorstellungen haben. So sind "Sauberkeit" und "Ordnung" die beiden Begriffe, die chinesische Studenten bei weitem am häufigsten mit Te-kuo, dem "Tugendland", verbinden. *** Für viele ist die Bundesrepublik zuallererst ein Industrieland, das durch Substantive wie "Wirtschaft", "Technik" und "Wohlstand" beschrieben wird, und Deutsche haben grundsätzlich "fleißig", "pünktlich" und "ernst" zu sein. Das Deutschlandbild wird natürlich auch von "Schlössern" und "Bier" geprägt, während den Studenten negativ gefärbte Einschätzungen wie "kalt", "langweilig" und "unfreundlich" recht selten, politische Begriffe von "Nationalsozialismus" über "Kohl" bis zur "Wiedervereinigung" nur ganz vereinzelt einfallen.


ACHT SEMESTER DEUTSCH - UND WAS KOMMT DANN?

Auch wenn sie sich während ihres Studiums in der Regel somit keinen persönlichen Eindruck von den deutschsprachigen Ländern verschaffen konnten, geht die breite Mehrheit der Studenten doch davon aus , daß ihnen ihre Sprach- und landeskundlichen Kenntnisse später hilfreich sein werden und im Beruf von Vorteil sind. Ganz oben auf ihrer Prioritätenliste steht dabei eine Stelle in der Wirtschaft, was wohl doch wieder die ursprünglichen Studienwünsche erkennen läßt. Besonders begehrt sind deutsche Unternehmen (bei Hoechst/Taiwan z. B. sind derzeit gleich mehrere Fu Jen-Absolventen tätig, wie der Leiter der Deutschabteilung Jahr Dai-shan (查岱山) berichten kann) oder das Deutsche Wirtschaftsbüro, wo nach Angaben von Dr. Tu-Gu Chia-tai gerade drei ehemalige Schützlinge der Chinesischen Kultur-Universität unter anderem als Sekretärin beschäftigt sind. Die Zahl der Firmen in Taiwan, bei denen dem Deutschen eine wichtige Rolle zukommt, ist aber natürlich recht begrenzt; andererseit ist der Beruf der Sekretärin tatsächlich die von den vielen weiblichen Absolventinnen am häufigsten angesteuerte Tätigkeit.

Eine Lehrer- oder Übersetzerlaufbahn, was eine logischere Fortsetzung des Sprachstudiums wäre, wird hingegen von deutlich weniger Leuten in Betracht gezogen. Einige Studenten scheinen somit die spätere Verwendbarkeit ihrer an der Universität vermittelten Fertigkeiten etwas zu überschätzen bzw. nicht unbedingt eine adäquate Laufbahn einzuschlagen, wie auch Dr. Lin Tsong-minn von der Soochow-Universität bedauernd einräumt: "Die Mehrheit der in die Wirtschaft einsteigenden Berufsanfänger kann bei der Arbeit ihre erworbenen Deutschkenntnisse nicht oder nur sehr selten nutzbringend anwenden."

Sein Kollege Jahr Dai-shan tröstet sich damit, daß die Studenten vielleicht ihr Deutsch vergessen mögen, ihnen aber niemand die einmal an der Universität gesammelten Erfahrungen mehr nehmen könne. Zudem bedeute ein B. A. in Deutsch für einen nicht zu unterschätzenden Prozentsatz der Studenten auch noch nicht das endgültige Ende ihres Studiums, denn "viele Studenten gehen ins Ausland und versuchen, dort einen weiteren Abschluß zu erreichen." Daß den deutschsprachigen Ländern dabei die Vereinigten Staaten trotz der hohen Studiengebühren als Wahlheimat den Rang abzulaufen scheinen, liegt hauptsächlich an der dort kürzeren Studiendauer und geringeren Anforderungen. In Deutschland wird z. B. ein in Taiwan erreichter B. A. nicht anerkannt; wie alle Ausländer müssen Studenten aus Taiwan erst die schwierige "Prüfung zum Nachweis deutscher Sprachkenntnisse" (PNdS) ablegen und qualifizieren sich im Erfolgsfall doch nur für das erste Semester. Das ist auch der Grund, warum manche Studenten (allerdings mit sehr ungewissem Erfolg) diesen Weg nicht erst nach dem vierten, sondern schon nach dem zweiten oder dritten Studienjahr in Taiwan ins Auge fassen, da zwar ein Abschluß an der hiesigen "Oberschule" allein noch nicht zum Studium in Deutschland berechtigt, in Verbindung mit mindestens zwei Jahren Universitätsstudium in Taiwan aber dem "Abitur" gleichgesetzt wird.


Doch auch in ihrem Heimatland können interessierte Hochschüler ihre Deutschstudien an zwei Universitäten weiterbetreiben. "Das Magisterprogramm für Deutsche Sprache und Literatur schafft Gelegenheit, unter optimalen Bedingungen das Studium des Deutschen hierzulande fortzusetzen und so sprachliche Kenntnisse sowie literarisches und kulturelles Wissen zu vertiefen, um das Gelernte in fruchtbarer Tätigkeit hier auf Taiwan einsetzen oder als gute Grundlage für ein Weiterstudium nutzen zu können." So faßt Dr. Agathe Bramkamp, die Leiterin des Deutsch-Magisterprogramms an der Fu Jen-Universität, dessen Zielsetzung und Begründung zusammen. Auch an der Chinesische Kultur-Universität, wo Frau Dr. Tu-Gu Chia-tai der Linguistik etwas breiteren Raum gibt, kann der Master of Arts (M. A.) in einem Studiengang Deutsch erworben werden.

Kandidaten müssen ein vierjähriges Deutschstudium mit dem B. A. abgeschlossen haben oder vergleichbare Sprachkenntnisse besitzen, wenn sie für einen der jährlich maximal sechs Studienplätze an der Chinesischen Kultur-Universität und zehn an der Fu Jen-Universität in Frage kommen wollen. Da die Zahl der Bewerber jedes Jahr deutlich höher liegt (im Jahre 1992 z. B. gab es an den beiden Universitäten zusammen 42 Anmeldungen, wobei allerdings Doppelbewerbungen erlaubt sind), muß erst eine schriftliche und mündliche Aufnahmeprüfung die Spreu vom Weizen trennen. Auslandserfahrung wäre dabei von Vorteil, doch kann diese selbst unter den Kandidaten, die die Qualifikation schließlich erreichen, nur etwa die Hälfte vorweisen.

Im "Graduierten-Bereich" haben die Auserkorenen dann zuerst einmal ein zumindest viersemestriges Studium mit jeweils etwa acht Wochenstunden Deutschunterricht vor sich. Wie Dr. Bramkamp betont, wird dabei stets berücksichtigt, daß ein Deutschstudium in Taiwan immer eine "Auslandsgermanistik" im Gegensatz zu einer "Binnengermanistik" zu betreiben hat. Es darf also nicht vergessen werden, daß das Deutsche anders als im deutschsprachigen Raum hier als "Fremdsprache und Fremdkultur in einem fremdsprachlichen Land" vermittelt werden muß, wie auch der unter Studenten bisweilen zu hörende Seufzer belegt: "Meine Denkweise ist zu chinesisch." Um die kulturellen Differenzen für die Studierenden nutzbar zu machen, wird deshalb an der Fu Jen-Universität die komparatistische Seite betont, weshalb hier ein Übersetzungskurs in jedem Semester Pflichtfach ist. Weitere obligatorische Veranstaltungen umfassen an den beiden Universitäten z. B. "Literatur der Gegenwart" oder "Klassische deutsche Werke". Daneben müssen die Studenten noch eine Auswahl aus Kursen wie z. B. "Einführung in die Philosophie" oder "Deutsche Sozialgeschichte" treffen.

Für Ausländer mag dabei der Titel eines Wahlkurses "Forschungsmethoden wissenschaftlichen Arbeitens" etwas anspruchslos klingen. Da den Studenten aber während ihrer Schulzeit nicht einmal Grundbegriffe vermittelt werden, die sie für ein Sprach- und Literaturstudium dringend benötigen, muß ihnen eben an der Hochschule beigebracht werden, wie man z. B. Gliederungen, Inhaltsangaben und Zusammenfassungen anfertigt oder Sekundärliteratur auswertet. Auch die Magisterkandidaten tun sich anfangs noch schwer, Texte zu interpretieren und ihre Erkenntnisse in einem größeren Kreis zu vertreten.

Dr. Bramkamp findet deshalb das abschließende Jahr des Magisterprogramms besonders wertvoll, in dem die Studenten eine längere Magisterarbeit verfassen, die in Deutsch geschrieben sein und in einer mündlichen Prüfung vor einem Ausschuß erläutert werden muß. Dabei können die Studenten demonstrieren, daß sie nun fähig sind, sich eigenständig - wenn auch unter Anleitung eines Betreuers - auf wissenschaftliche Weise mit einem angemessenen Thema zu befassen und ihre Ergebnisse in der Zielsprache darzulegen. Die Titel bereits vorgelegter Arbeiten reichen von "Die Rolle und Funktion der Tempora im Deutschen in narrativen Texten" über "Vergleich moderner taiwanesischer und deutscher Kinderliteratur" bis zu "Adolf Muschgs ' Baiyun' und Herbert Rosendorfers 'Briefe in die chinesische Vergangenheit': Chinesisches in der neuesten deutschen Literatur" und lassen erkennen, daß Untersuchungen zur Verknüpfung chinesischen und deutschen Gedankenguts bei den Studenten und Dozenten in der Vergangenheit besonders beliebt waren. Neben solch einer Abhandlung wird an der Fu Jen-Universität von den Magisterkandidaten verlangt, daß sie eine damit stofflich in Verbindung stehende Übersetzungsarbeit abliefern, die wiederum den Vergleichsaspekt eines Fremdsprachenstudiums betonen und die jahrelange Arbeit auf diesem Gebiet Früchte tragen lassen soll.

Sich mit den erworbenen Fähigkeiten auch auf beruflichem Gebiet zu behaupten, dürfte den Magistern später in der Regel nicht schwerfallen. Viele bewerben sich um Jobs bei Niederlassungen deutscher Firmen und absolvieren hierfür verschiedentlich bereits in den Semesterferien Praktika.


Ihre Aussichten, die Deutschkenntnisse in ihr späteres Wirken einbringen zu können, würden sich für sie schlagartig verbessern, wenn die Schulen Taiwans dazu übergingen, neben Englisch auch noch eine zweite Fremdsprache zu unterrichten. Derartige Überlegungen sind bereits mehrfach geäußert worden, harren aber noch der Umsetzung in die Praxis.

Was die Abteilungsleiter aber mit besonderer Genugtuung verzeichnen, ist der Trend, daß ehemalige (Magister-) Studenten (das Magisterprogramm an der Fu Jen-Universität existiert seit 1974, das der Chinesischen Kultur-Universität sogar schon seit 1968) als Dozenten nach einem längeren Auslandsaufenthalt an die Deutschabteilungen der Universitäten zurückkehren. Ausgebildete Lehrkräfte sind also nun als Multiplikatoren tätig: "ein sog. Brain-Drain findet nicht statt" (Dr. Bramkamp).


Das zeigt sich auch an der Tatsache, daß derzeit zehn chinesische Deutschlehrer am Deutschen Kulturzentrum in Taipei tätig sind. Nach Aussage von Dr. Gründler, der dem Institut bis Herbst 1992 sieben Jahre lang vorstand, unterrichten sie hier jede Woche etwa 400 Kursteilnehmer, übers Jahr hinweg sogar rund 3000. Die Bewerberzahlen sind allerdings leicht rückgängig: Ander als z. B. an der Tamkang-Universität, wo der Deutschabteilungsleiter Dr. Kuo Chiu-ching (郭秋慶) vor allem bei Studenten mit Deutsch als Nebenfach einen sogenannten "Wiedervereinigungseffekt" konstatiert, hat sich nach Meinung Dr. Gründlers das Interesse potentieller Sprachschüler des Kulturzentrums inzwischen schon wieder etwas von der Bundesrepublik abgewendet und gilt nun eher den osteuropäischen Ländern und der ehemaligen Sowjetunion.

Die Kursteilnehmer studieren oft "im Hauptberuf " Jura, Naturwissenschaften oder Ingenieurwesen und nützen das Angebot des Kulturzentrums, um sich die nötigen Grundlagen für ein Studium oder Forschungsprojekt in Deutschland anzueignen. Da sie im allgemeinen aus eigenem Antrieb Deutsch lernen und für den Unterricht bezahlen müssen, ist dieser recht straff organisiert; die Lehrer bezeichnen das Unterrichtsklima aufgrund der hohen Motivation der Lernenden aber als angenehmer als an den Hochschulen.


Für Studenten, die den M. A.-Abschluß in Deutsch erreichen möchten, denen die literatur- oder linguistikorientierten Kurse in den Graduierten-Programmen der Chinesischen Kultur- oder der Fu Jen-Universität aber weniger am Herzen liegen, gibt es seit 1991 einen neuen Studiengang. Das 1988 gegründete "Graduierteninstitut für Übersetzen und Dolmetschen" (Graduate Institute of Translation and Interpretation Studies, GITIS) auf dem Gelände der Fu Jen-Universität hat nämlich neben Chinesisch, Japanisch, Englisch, Spanisch und Französisch neuerdings auch Deutsch in sein Programm aufgenommen und kann nun graduierte Übersetzer Chinesisch-Deutsch ausbilden. Die an Interessenten gestellten Ansprüche sind allerdings recht hoch, so daß im ersten Jahr nur eine Bewerberin aufgenommen werden konnte. Sehr viel werden es aber auch in den kommenden Jahren nicht werden, da das gesamte Institut für die sechs angebotenen Sprachen für Einheimische jährlich nur 14 Studienplätze zur Verfügung hat (für Auslandschinesen gibt es Sonderbestimmungen). Neben hervorragenden Sprachkenntnissen ist für Bewerber der B. A. oder eine dreijährige Arbeitserfahrung nach dem College Bedingung; von den zukünftigen Magistern wird zudem verlangt, daß sie vor Beendigung ihres Studiums zumindest ein ganzes Jahr im deutschsprachigen Ausland verbracht haben.

Der erfahrene Leiter des Instituts, Prof. Robin Setton, bedauert es sehr, daß es hier noch keinen Studiengang zum "Konferenzdolmetscher Chinesisch-Deutsch" gibt, da es bisher nicht möglich war, qualifizierte Fachleute auf diesem Gebiet zu einem Lehrauftrag nach Taiwan zu bewegen. Er freut sich aber, daß GITIS, das im asiatischen Raum kaum Konkurrenz zu fürchten hat, einen Übersetzer-Studiengang Chinesisch-Deutsch durchführen kann, den sich zwei chinesische und zwei deutsche Universitätsdozenten teilen. Im viersemestrigen Studium verlagert sich dabei das Hauptaugenmerk von zuerst eher allgemeinen zu im zweiten Studienjahr spezielleren, eher fachsprachlich orientierten Inhalten.

Zusätzlich wird eine Magisterarbeit verlangt, die in Chinesisch, Deutsch oder einer anderen Zielsprache des Studenten verfaßt sein kann und entweder nur theoretisch angelegt ist oder diesen Teil mit einer praktischen Übersetzung kombiniert. Welchen Titel die erste deutsche Magisterarbeit am GITIS tragen wird, wird vermutlich von Joann Chou abhängen. Sie ist die Vorreiterin aller zukünftigen Studenten an der dortigen Deutschabteilung, genießt derzeit den Unterricht auf Eins-zu-Eins-Basis und muß sich bald für ein Thema entscheiden. Als erste geprüfte Übersetzerin Chinesisch-Deutsch in Taiwan braucht sie sich um ihre beruflichen Aussichten sicher keine Sorgen machen, obwohl die Bedingungen für Übersetzer in Taiwan oft nicht sehr professionell sind. "Manchmal ist es schon deprimierend, wenn man sieht, daß hier alleine der Preis einer Übersetzung maßgebend ist, nicht dagegen ihre Qualität. Die Reaktion der Abnehmer z. B. in Europa wird noch viel zu wenig beachtet", wie Prof. Setton nur zu oft feststellen muß. Dennoch scheint sich die Situation für ausgebildete Übersetzer mit der zunehmenden Öffnung des hiesigen Marktes zu bessern, so daß Joann Chou und ihre Nachfolger(innen) optimistisch in die Zukunft blicken können.


DEUTSCHSTUDIUM IM UMBRUCH

Falls es einen der bisher in Taiwan bereits 100 ausgebildeten Deutschmagister als Lehrkraft an seine Universität zurückzieht und er nun selbst im Graduierten-Bereich M. A.-Kandidaten ausbilden möchte, sollte er allerdings einen Doktortitel vorweisen können. Wie für die bisher etwa zehn chinesischen Dozenten, die sich mit diesem Titel im Fach Deutsch schmücken können, bedeutet das für Interessenten allerdings ein Auslandsstudium, da man den Doktorgrad noch nicht innerhalb Taiwans erwerben kann. Dabei kommt als weitere Schwierigkeit hinzu, daß im deutschsprachigen Ausland der in Taiwan erworbene Magistertitel nicht direkt anerkannt wird, weshalb erst einige Hauptseminarscheine nachzuliefern sind, bevor man an das Schreiben einer Dissertation denken kann.

Vor diesem Hintergrund wird der zunehmend geäußerte Wunsch nach einem eigenen Doktorandenprogramm Taiwans mit dem Titel "Komparatistik" verständlich, auch wenn manche kritische Stimmen vor einer "Schmalspurpromotion" warnen. Dr. Tu-Gu Chia-tai und Dr. Lin Tsong-minn halten die in Taiwan zur Verfügung stehende Literatur für nicht ausreichend und fragen sich, wer die Doktoranden betreuen und prüfen sollte. Frau Dr. Ingrid Plank, im Auftrag des DAAD an der Fu Jen-Universität tätig, befürchtet, daß ein derartige Programm dazu führen könnte, daß auch im Nicht-Graduierten-Bereich Dozenten mit Doktorgrad bevorzugt werden; Bewerber ohne diesen Titel, aber mit fundierten Kenntnissen, wie sie z. B. in Lehrgängen des Goethe-Institut erworben werden können, hätten dann immer geringere Einstellungschancen, obwohl gerade eine praxisorientierte pädagogische Ausbildung im Sprachunterricht nützlicher sein könne als eine theoretisch-wissenschaftliche.


Ein mögliches Doktorandenprogramm ist aber beileibe nicht die einzige Veränderung, die für die Hochschulen Taiwans derzeit im Gespräch ist. Die Leiter der verschiedenen Deutschabteilungen haben viele Ideen und Verbesserungsvorschläge, die schon dem Erziehungsministerium unterbreitet wurden oder bereits vor der (probeweisen) Verwirklichung stehen. Sie planen z. B., öfter als bisher Seminare mit großen Teilnehmerzahlen zu teilen und gleichzeitig das Spektrum angebotener Wahlkurse zu erweitern. Vom Erziehungsministerium wird eine Reduzierung der curricularen Vorgaben erhofft, da die Hochschulen gerne unterschiedliche Präferenzen setzen und teilweise auch über die bisher möglichen Anforderungen an die Studenten hinausgehen möchten. Für die Pflichtkurse bahnt sich nach einem viersemestrigen Grundstudium dann im dritten und vierten Studienjahr eine Spezialisierung an. Die Soochow-Universität macht schon im Studienjahr 1992/93 den Anfang und bietet die drei Richtungen "Literatur- und Sprachwissenschaft", "Sozial- und Geisteswissenschaften" sowie "Wirtschaftsdeutsch" an, um die Studenten ihren Vorlieben und Zukunftsplänen gemäß besser auf das Berufsleben oder ein Studium im Ausland vorbereiten zu können. Zwischen Grund- und Hauptstudium wird vermutlich eine Zwischenprüfung nach Art der "Zertifikatsprüfung für das Fach Deutsch als Fremdsprache" geschaltet, die die Ansprüche an die Studenten konkretisieren und vergleichbar machen soll.

Noch nicht angekündigt ist dagegen ein Abschaffen der Einrichtung, die das Studium in Taiwan bisher vielleicht am deutlichsten von demjenigen in Deutschland, Österreich oder der Schweiz unterscheidet. Für das bisher gültige Zuweisungsverfahren der zukünftigen Studenten anhand der gefürchteten Aufnahmeprüfung, das den verschiedenen Universitätsabteilungen bisher oft wenig motivierte Studienanfänger beschert hat, ist nämlich noch keine tragbare Ersatzlösung in Sicht. An den Hochschulen Taiwans hofft man natürlich langfristig auf eine Neuregelung, die ihnen Studenten bescheren könnte, die sich aus freien Stücken für ihr jeweiliges Studienfach entschieden haben.

Bis dieser Wunschtraum einmal verwirklicht ist, wird an den Deutschabteilungen vermutlich aber noch oft praktiziert werden, was eine Studentin als den größten Vorzug ihres Deutschstudiums bezeichnet hat: "Man lernt auf Deutsch schimpfen, was andere Leute nicht verstehen!"

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*1991 führte Frau Dr. Hornfeck, die Lektorin des "Deutschen Akademischen Austauschdienstes" (DAAD) an der Nationalen Taiwan-Universität in Taipei, an den Deutschabteilungen dreier Universitäten eine Umfrage zum Thema "Situation von Deutsch-Studenten in Taiwan" durch, an der sich 250 Studenten beteiligten. Für die gewährte Einsichtnahme in die noch nicht veröffentlichten Untersuchungsergebnisse ergeht an Frau Dr. Hornfeck herzlicher Dank. Weitere statistische Angaben und Zitate beruhen auf Umfrageaktionen des Autors unter Dozenten und rund 100 Deutschstudenten in Taiwan.

**Arnold Sprenger: "Deulschunterricht in Taiwan", in: Zielsprache Deutsch, Nr. 4/47, S. 182- 190, S. 189f.

***[Das chinesische Te-kuo ist eine lautliche Übersetzung des Wortes "Deutschland", wobei die ursprüngliche Bedeutung des chinesischen Zeichens te soviel wie "Moral", "Tugend" meint, während kuo "Land" heißt.]

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